Die Grimmelshausen-Gesellschaft im Jahre 2015

Tagung
"Grimmelshausens Der seltzame Springinsfeld"

11.–12. Juni 2015 in Oberkirch und Renchen

Die Grimmelshausen-Gesellschaft veranstaltete vom 11. bis zum 12. Juni 2015 in Oberkirch und Renchen eine Tagung zum Thema "Grimmelshausens Der seltzame Springinsfeld". Nach einem Grußwort von Christoph Lipps, Bürgermeister der Stadt Oberkirch, wurde die Tagung vom Präsidenten der Grimmelshausen-Gesellschaft eröffnet.

Den Eröffnungsvortrag hielt Dieter Breuer (Aachen), Ehrenpräsident der Grimmelshausen-Gesellschaft, der sich unter Rückgriff auf unterschiedliche Auffassungen innerhalb der Grimmelshausen-Forschung den vergeblichen Bekehrungsversuchen im Springinsfeld zuwandte und auf religiöse Dimensionen – vor allem die Gnadenlehren des Augustinus und Cornelius Jansenius – rekurrierte. Es folgten mehrere Vorträge, die Erzählstrukturen in den Blick nahmen. Rosmarie Zeller (Basel) widmete sich den "sinnreichen" Verwirrspielen von Erzähler- und Autorfiktionen in den simplicianischen Romanen vor dem erhellenden Traditionshintergrund der Picaro-Romane. Maximilian Bergengruen (Karlsruhe) verfolgte unter dem Aspekt von Zählen und Erzählen die Geschichte der 200 Dukaten im achten Buch des simplicianischen Zyklus und deckte die wichtige Rolle des Geld-Motivs und der avaritia-Problematik für den Erzählkonnex auf. Dabei wies er auf die Rezeption der Ethik von Franz von Sales, wie er sie in Philothea entfaltet hat, im Werk Grimmelshausens hin. Im Zusammenhang mit der vielstimmigen Narrativik stellte Martin Helbig (Freiburg i. Br.) die Bedeutung und Funktion von point of view und Erzählperspektive im Springinsfeld heraus. Nicola Kaminski (Bochum) ging der Frage "Wer ist Philarchus Grossus?" nach und setzte sich mit simplicianischem "Autorschaftsmachinationen" im narrativen Hintergrund auseinander. Zum Rahmenprogramm gehörte am Abend ein Rundgang durch die Kellerei der Winzergenossenschaft Oberkirch mit anschließendem Vesper und einer Weinprobe.

Am zweiten Tagungstag begrüßte Bürgermeister Bernd Siefermann die Tagungsteilnehmer im Simplicissimus-Haus in Renchen. Die Vortragsreihe eröffnete Dieter Martin (Freiburg i. Br.), der eine Episode aus dem Springinsfeld in den Mittelpunkt rückte: "Obriste Lumpus" – Springinsfelds Erzählen zwischen Authentizitätsanspruch und Exemplarik. Die Episode des Verschwenders Lumpus wurde in den folgenden Jahrhunderten mehrfach rezipiert, so auch in der erstmals 1732 erschienenen Predigtsammlung Seraphisch Buß- und Lob-anstimmenden Wald-Lerchlein des Kapuziners Clemens von Burghausen, der mit bürgerlichem Namen Klaus Harderer hieß. Andreas Bässler (Stuttgart) untersuchte Bewegungsmuster des Sprunghaften im Springinsfeld und ging auch auf den sprechenden Namen des Romanprotagonisten ein. Der unzuverlässige Erzähler, die satirische Intention, deren Selbstreflexion und die verschiedene Lesarten zulassende Erzählweise waren Gegenstand des Vortrags von Maren Lickhardt (Greifswald). Die in romanpoetologischer Hinsicht zentrale Gaukeltaschen-Episode interpretierte Maik Bozza (Stuttgart), wobei er die immanente Subversion des Erzählmodus akzentuierte. Neues für die Grimmelshausen-Forschung bot Klaus Haberkamm (Münster), der in seinem anregenden Vortrag das Titelkupfer der Simpliciade deutete und den Springinsfeld erstmals als "Cento" samt den damit verbundenen poetologischen Implikationen vorstellte. Der aus Flicken zusammengenähte Mantel der Titelgestalt und die Bildtradition der allegorisch zu verstehenden Bäume sowie deren Relevanz für den Lebenslauf des ehemaligen Soldaten wurden Ausgangspunkte einer überzeugenden Analyse, die auch die Prätexte verarbeitende Kombinationskunst des Erzählers berücksichtigte. Hans-Joachim Jakob (Siegen) machte in seinem aufschlussreichen Vortrag auf historiographische Quellen aufmerksam, die Grimmelshausen für seinen Roman nutzte. Dabei ging es in erster Linie um das Theatrum Europaeum und Eberhard Wassenbergs Ernewerten Teutschen Florus. Im letzten Vortrag referierte Alexander Kling (Bonn) ausgehend von der sogenannten Wolfsepisode über Wölfe als sinnträchtige Zeichentiere in Chroniken des Dreißigjährigen Krieges und im Springinsfeld. Es wurde deutlich, dass die Textpassage bei Grimmelshausen eine heilsgeschichtliche Dimension aufweist, jedoch von der Titelfigur in ihrer Verblendung nicht wahrgenommen wird.

Der traditionelle Abschiedsschmaus im "Silbernen Stern" zu Gaisbach beendete eine Tagung, auf der zahlreiche neue Perspektiven auf Grimmelshausens Springinsfeld entwickelt wurden.

Peter Heßelmann (Münster)