Die Grimmelshausen-Gesellschaft veranstaltete vom 23. bis zum 25. Juni 2017 im Museum Gelnhausen eine Tagung zum Thema „Grimmelshausens ,Kleinere Schriften‘“. Nach einem Grußwort von Hans-Dietrich Ullrich, Erster Stadtrat der Stadt Gelnhausen, wurde die Tagung vom Präsidenten der Grimmelshausen-Gesellschaft eröffnet.
Den ersten Vortrag hielt Klaus Haberkamm (Münster), der sich der Gattung „Scherz-Reden“ zuwandte und, ausgehend von Tommaso Garzonis Gattungspoetik, Funktion und Bedeutung der simplicianischen „Kürzestprosa“ vorstellte. Nicola Kaminski (Bochum) wählte für ihre Ausführungen einen ,barocken‘ Doppeltitel und ging einer spannenden Frage nach: Der kommentierte Brief oder Was lehrt Simplicissimi Galgen-Männlin wen? Ausgangspunkt waren dabei die sonderbaren quantitativen Verhältnisse von Kommentiertem und Kommentar sowie die ungewöhnliche Form der typographischen Textgestaltung. In der gewählten Lesart erschien das ,Galgen-Männlin‘ als Vexierobjekt zwischen Schriftstück und anthropomorpher Kreatur. Dabei wurde die intrikate Verquickung von Geld- und Sprachökonomie deutlich. Christian Meierhofer (Bonn) analysierte digressive Strukturen im Galgen-Männlin und machte auf die Doppelstruktur des Textes aufmerksam, der einerseits durch ,brevitas‘, andererseits durch ,digressio‘ geprägt ist. Der Josephus-, Praetorius- und Rist-Rezeption in diesem Text widmete sich Jakob Koeman (Maartensdijk). Er ging auf Grimmelshausens Quellen ein und schloss Bemerkungen zum misogynen Frauenbild in den Texten an. Dieter Breuer (Aachen) und Jost Eickmeyer (Berlin) stellten Grimmelshausens Bart-Krieg ins Zentrum ihrer Vorträge. Während Dieter Breuer unter dem Titel „Ein Rotbart wehrt sich“ autobiographische Elemente berücksichtigte und auf die Relativierung des traditionellen Vorurteils gegen Rothaarige abhob, konzentrierte sich Jost Eickmeyer auf weitere zeitgenössische Texte, die sich mit der Barttracht auseinandersetzten. Damit konnte der Bart-Krieg in eine reichhaltige Diskurs-Formation eingereiht werden. Den Abschluss des ersten Tages bildeten ein Rundgang durch das Museum Gelnhausen samt „Grimmelshausenwelt“ und ein gemeinsames Abendessen.
Der zweite Tagungstag begann mit einem Vortrag von Dieter Martin (Freiburg i. Br.), der über frühneuzeitliche Inventare fiktiver Dinge referierte und die Gattungstradition der Wunderlichen Antiquitäten beleuchtete. Diverse Ausprägungen dieses bisher kaum beachteten Textgenres und seiner Funktionalisierungen wurden erläutert. Das Spektrum reichte von konfessionell-politischer Polemik über Jahrmarktsunterhaltung bis zur Parodie antiquarischen Sammeleifers. Anlässlich ihrer Übersetzung des Stoltzen Melchers ins Italienische (2016) lenkte Laura Balbiani (Aosta) die Aufmerksamkeit auf die Sprache Grimmelshausens und stellte Probleme der Übersetzung zur Diskussion. Andreas Bässler (Stuttgart) präsentierte Taschenspielerkünste vor dem Hintergrund von Grimmelshausens Gauckel-Tasche. Sowohl die Gauklerkultur der Frühen Neuzeit als auch die Textsorte der Gaukelbücher gerieten in den Blick. Es konnte gezeigt werden, dass für die Leser eines Gaukelbuchs Verweis- und Referenzzusammenhänge aufgebaut werden, welche die Aufmerksamkeit auf bestimmte Stellen lenken. Die Texte entziehen sich aber häufig dem Zugriff, weil deren Verweissystem in die Irre führt oder ins Leere läuft. In den folgenden beiden Vorträgen stand das Rathstübel Plutonis im Mittelpunkt. Simon Zeisberg (Berlin) reihte Grimmelshausens Gesprächspiel in den erhellenden Kontext der „ars ditescendi“-Literatur des 17. Jahrhunderts ein. Dabei wurden Texte der zeitgenössischen Chrematistik herangezogen. Grimmelshausens Umgang mit antijüdischen Stereotypen im Rathstübel Plutonis stellte Sebastian Rosenberger (Göttingen) heraus. Nach seiner Auffassung werden antijüdische Vorurteile in Frage gestellt und in satirischer Weise kritisiert. Júlia Brandão (Campinas/Brasilien) untersuchte die Darstellungen von Inversion, Dystopie und Utopie der Verkehrten Welt. Dabei erwiesen sich Vergleiche mit Prätexten von Thomas Morus und Erasmus von Rotterdam als nützlich für das Verständnis der Schrift Grimmelshausens. Die „Ästhetik der Hölle“ in der Verkehrten Welt war Gegenstand der Überlegungen von Lars Kaminski (Sigmaringen). Er machte mit der reichen Bildersprache der Hölle und Spezifika ihrer Ästhetik vertraut. Der Tag klang aus mit einer Lesung der Gelnhäuser Autorin Tanja Bruske-Guth, die ihren neuen Roman Tod am Teufelsloch vorstellte, und mit einem anschließenden gemeinsamen Abendessen.
Am dritten Tag ging es zunächst um Kalendergeschichten. Rosmarie Zeller (Basel) analysierte die intertextuellen Verknüpfungen zischen den simplicanischen Büchern und den simplicianischen Kalendern. Im Mittelpunkt standen insbesondere die Berichte von der Rückkehr des Simplicissimus von der Kreuzinsel nach Europa. In seinem Vortrag verfolgte Hans-Joachim Jakob (Siegen) die Rezeptionsspuren der Historie „Der aus Einbildung sterbende Soldat“ aus dem Europäischen Wunder-Geschichten-Kalender (1671) bei Johann Peter Hebel (1814) und Werner Bergengruen (1930). Dirk Werle (Heidelberg) interpretierte im letzten Vortrag der Tagung Gedichte im Werk Grimmelshausens als ,Kleinere Schriften‘, wobei auch die umstrittene Frage nach deren Autorschaft thematisiert wurde.
Gefördert wurde die Tagung durch die Kulturstiftung der Stadt Gelnhausen, den Magistrat der Barbarossastadt Gelnhausen und das Museum Gelnhausen. Die Tagungsorganisation in Gelnhausen lag in den Händen von Simone Grünewald.
Peter Heßelmann (Münster)