Die Grimmelshausen-Gesellschaft veranstaltete vom 08. bis zum 10. Juli 2010 in Oberkirch, Offenburg und Renchen eine Tagung zum Thema „Wort – Bild – Ton. Grimmelshausen und die Medien“. Das Rahmenthema verband – ausgehend von medientheoretischen und medienhistorischen Perspektiven in der Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit – zwei für Grimmelshausens Werk und seine Fortwirkung wesentliche Aspekte: erstens die Frage nach dem Verhältnis, das der Bestseller-Autor zu den Medien seiner Zeit hatte, und zweitens die Frage, wie sein Werk bis in unsere Gegenwart hinein in unterschiedlichen Medien rezipiert wurde.
Im ersten Themenkomplex wurde erörtert, wie Grimmelshausen sich in das Mediengefüge des Barockzeitalters einschrieb, spezieller: auf welche Weise er sich die unterschiedlichen Textsorten seiner Epoche anverwandelte, ob und wie er das zeittypische Ineinander von Text und Bild produktiv aufnahm, wie er die Medien der Zeit in seinem Werk thematisierte. Der zweite Themenkomplex bot insbesondere Raum für rezeptionsgeschichtliche und -ästhetische Beiträge. Hier ging es vor allem um die Rezeption Grimmelshausens in Literatur, Bildkunst und Musik.
Nach einem Grußwort von Matthias Braun (Bürgermeister der Stadt Oberkirch) eröffnete Peter Heßelmann (Präsident der Grimmelshausen-Gesellschaft) die Tagung. Der erste Vortrag widmete sich der Bedeutung und Funktion des Nativitätenbuchs im Werk Grimmelshausens. Klaus Haberkamm (Münster) stellte das astrologische Medium vor und wies auf die Relevanz von Providenz, Prophezeiung, Prognostik und Horoskop für das simplicianische Erzählen und dessen Struktur hin. Im Mittelpunkt des Vortrags von Maximilian Bergengruen (Genf) stand die Paris-Episode im Simplicissimus Teutsch, die als imaginäre Bildgeschichte und „Männerphantasie“ gedeutet wurde. Ausgehend von Quellen, die Grimmelshausen für die Literarisierung dieser Erzählsequenz nutzte, geriet der für Grimmelshausens Schriften wichtige Sündenkatalog näher in den Blick. Friedrich Gaede (Freiburg i. Br.) ging vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Philosophie Grimmelshausens Thematisierung des Lesers und der Darstellung verschiedener 2 Mitteilungen Lesertypen nach. Dabei zeigte sich u. a. die Problematisierung der Hermeneutik, der Urteilskritik und des Substanzbegriffs in seinem Werk. Unter besonderer Berücksichtigung der im 17. Jahrhundert geltenden Verlags- und Autorrechte bot Dieter Breuer (Aachen) eine kritische Übersicht über Grimmelshausens Verleger. Sibylle Penkert (Berlin) erläuterte theoretische Grundzüge des literarischen Dokumentarfilms als wissenschaftliches Medium am Beispiel ihres zusammen mit Johannes Willms 1977 konzipierten Fernsehfilms „daß Du ein toter bist unter den Toten. Grimmelshausen – Chronist schrecklicher Zeit“.
Den im Simplicissimus-Haus zu Renchen stattfindenden Teil der Tagung eröffnete ein Grußwort von Bernd Siefermann (Bürgermeister der Stadt Renchen). Die Schermesser-Episode in Grimmelshausens Continuatio beleuchtete Nicola Kaminski (Bochum), wobei sie die „Lebensgeschichte“ des Papiers als Mediengeschichte interpretierte und Bezüge zur literarischen Gattung der autobiographischen Lebensbeichte aufdeckte. Von einem raumtheoretischen Ansatz Michel Foucaults ausgehend, machte Hania Siebenpfeiffer (Greifswald) auf inszenierte Heterotopien und visuelle Wahrnehmungsmodi sowie -medien und deren Bedeutung in simplicianischen Romanen aufmerksam. Michael Schilling (Magdeburg) präsentierte Flugblätter als Wegbereiter Grimmelshausens. Er zeigte motivliche Parallelen zwischen der Bildpublizistik der Frühen Neuzeit und den Schriften des simplicianischen Autors. Eine Analyse der Textillustrationen, die sich in der Ausgabe E5 des Simplicissimus Teutsch (1671) befinden, nahm Rosmarie Zeller (Basel) vor. Die Abbildungen mit der Inschrift „Der Wahn betreügt“ haben – so konnte sie ausführen – insbesondere die Aufgabe, den Leser zur Reflexion über den Text anzuregen. Daniel Langner (Münster) deutete ein „Neben-Kupffer“ des ersten Bandes der posthumen Grimmelshausen-Gesamtausgabe (1684) und erläuterte die Semantik der komplexen Bildmotive. Die Grimmelshausen-Rezeption in zwei Vorlesungen (A. W. Schlegel, Wachler) und zwei Lexika (Jördens, Bouterwek) des frühen 19. Jahrhunderts untersuchte Jakob Koeman (Maartensdijk). Den neuen Audioguide für das Simplicissimus-Haus Renchen stellten Dieter Martin, Eva Backes, Julia Buckenmaier, Jonas Haupenthal, Anja-Lena Knisel und Simon Mick (Freiburg i. Br.) vor.
Im Offenburger Ritterhaus wurden die Tagungsteilnehmer vom Museums- und Archivleiter Wolfgang Gall (Offenburg) begrüßt. Martin Ruch (Willstätt) gab einen bilderreichen Überblick über 1000 Jahre Mediengeschichte am Oberrhein. Die Mediengeschichte und mediale Organisationsformen der Grimmelshausen-Zeit rückte Helmut Schanze Mitteilungen 3 (Aachen/Siegen) ins Zentrum seines Vortrags, wobei vornehmlich die Produktion und Distribution unterschiedlicher Medien näher betrachtet wurden. Hans-Joachim Jakob (Münster/Siegen) lenkte die Aufmerksamkeit auf Franz Fühmanns Drehbuch-Entwurf zu einer Verfilmung des Simplicissimus. Im Zuge des Vortrags konnten die Gemeinsamkeiten und Differenzen zwischen der Romanvorlage und den Drehbuch-Fassungen herausgearbeitet werden. In Fühmanns Adaptionsästhetik gerate der Stoff, so Jakob, zur Vision einer deformierten Welt voller Gewalt. Den vierteiligen Fernsehfilm Simplizissimus aus dem Jahr 1975 verglich Matthias Bauer (Flensburg) mit dem Roman Grimmelshausens. Die im Film entfaltete emblematische Szenographie und deren spezifische Bildsprache wurden am Beispiel der Olivier-Episode analysiert. Den Rezeptionen des Simplicissimus in Hörspielen ging Thorsten Fitzon (Freiburg i. Br.) in vergleichender Weise nach. Er stellte dabei die Haupttendenzen in den Adaptionen heraus, die alle einen hohen Grad an Nähe zum Romantext aufweisen.
Zur Tagung gehörte ein umfangreiches Rahmenprogramm, in dem das Thema „Wort – Bild – Ton. Grimmelshausen und die Medien“ in vielfältiger Weise aufgegriffen wurde. In der neuen Mediathek zu Oberkirch las Reinhard Kaiser (Frankfurt a. M.) aus seiner 2009 erschienenen Übertragung des Simplicissimus ins Gegenwartsdeutsch und machte mit Problemen bei der Bearbeitung des Textes vertraut. Im Simplicissimus-Haus Renchen fand eine Ausstellungseröffnung statt. Gezeigt wurden Illustrationen zum Simplicissimus, die Manfred Schulz (Hamm) gezeichnet hat. Der Spielkreis Renchen überraschte die Tagungsteilnehmer mit einer Theateraufführung von Grimmelshausens Rathstübel Plutonis. Im Innenhof des ehemaligen Kapuzinerklosters bot das Grimmelshausen-Gymnasium Offenburg Ausschnitte aus der Oper Courasche – Musiktheater nach Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen. Die Jubiläumsoper entstand anläßlich der Feierlichkeiten zum 350-jährigen Bestehen des Gymnasiums im Jahr 2010. Mit dem traditionellen Abschiedsschmaus im „Silbernen Stern“ zu Gaisbach endete eine abwechslungsreiche Tagung. Sie wurde gefördert durch die Arbeitsgemeinschaft Literarischer Gesellschaften und Gedenkstätten (ALG), durch die Städte Oberkirch und Renchen, die Sparkasse Offenburg/Ortenau, die Firma Sander Umformtechnik GmbH & Co. KG (Renchen), die Firma ETOL-Werk GmbH & Co. OHG (Oppenau) und die Fima Weber GmbH (Renchen).
Peter Heßelmann (Münster)