Johann Jakob Christoph von Grimmelshausen
Gesellschaft e.V.

Die Grimmelshausen-Gesellschaft im Jahre 2008

Deutschsprachige Literaturnobelpreisträger in Münster

Grimmelshausen-Gesellschaft und Universitäts- und Landesbibliothek Münster präsentieren Wanderausstellung

Die zwölf deutschsprachigen Literaturnobelpreisträger sind Thema einer Ausstellung im neuen Foyer der Universitäts- und Landesbibliothek Münster (ULB) vom 5. Dezember 2008 bis zum 23. Januar 2009. Eröffnet wurde die von der Grimmelshausen-Gesellschaft e. V. und der ULB nach Münster geholte Wanderausstellung mit dem Titel „Ich, natürlich, oder?!“ am Freitag, den 5. Dezember, um 14 Uhr im neuen „Torhaus“ an der ULB am Krummen Timpen. Christiane Kussin, Geschäftsführerin der bundesweit tätigen Arbeitsgemeinschaft Literarischer Gesellschaften und Gedenkstätten e. V. (ALG), führte in das Thema ein. Idee und Konzeption der Ausstellung stammen von der ALG.

"Ich natürlich, oder?!", soll im Jahre 1981 Gabriel Garcia Márquez einem Journalisten am Tag der Verleihung des Nobelpreises für Literatur auf die Frage geantwortet haben, ob er wisse, wer der diesjährige Preisträger sei. Doch Márquez’ Freude war verfrüht. Nicht er wurde gewählt, sondern Elias Canetti, einer der zwölf deutschsprachigen Autorinnen und Autoren, denen die Stockholmer Nobel-Stiftung diese hohe Auszeichnung von 1901 bis heute zuerkannt hat. Márquez hatte jedoch nicht lange Grund enttäuscht zu sein. Denn als erster Kolumbianer erhielt er bereits 1982, ein Jahr nach Canetti, den Literaturnobelpreis.

Ein Dutzend deutschsprachiger Nobelpreisträger für Literatur – wer waren die eigentlich? Die jüngeren dürften noch allgemein in Erinnerung sein: Elfriede Jelinek im Jahre 2004 und Günter Grass 1999. Heinrich Böll (1972) und Hermann Hesse (1946) werden vielen ebenfalls noch spontan einfallen; vielleicht auch Gerhart Hauptmann (1912). Aber die komplette Liste bekommen nur wenige zusammen. „Da kommen selbst Literaturprofessoren ins Stocken“, meint Prof. Dr. Peter Heßelmann vom Germanistischen Institut der Universität Münster mit einem Augenzwinkern. Der Präsident der Grimmelshausen-Gesellschaft gibt zu, dass selbst er nicht auf Anhieb alle Preisträger parat hatte. Für ihn ein Grund mehr, die Wanderausstellung der Arbeitsgemeinschaft Literarischer Gesellschaften und Gedenkstätten nach Münster zu holen. Zusammen mit der Universitäts- und Landesbibliothek Münster (ULB) ist es möglich geworden, die ansprechend gestalteten Stellwände zu zeigen. Ergänzend werden zu den ausgezeichneten Autoren einige Erstausgaben ihrer Werke aus dem Bestand der ULB zu sehen sein.

Der Nobelpreis für Literatur ist die weltweit höchste Ehrung, die einer Schriftstellerin oder einem Schriftsteller zuerkannt werden kann. Während in den ersten Jahren der über einhundertjährigen Verleihungsgeschichte vor allem die klassische Meisterschaft preiswürdig war, wählte die Schwedische Akademie nach dem Zweiten Weltkrieg oft die so genannten Bahnbrecher der Literatur. Die Ausstellung versucht daher das Spannungsfeld von literarischer Qualität und den sich wandelnden Rezeptionsbedingungen zu spiegeln. Mit dieser Ausstellung besteht jetzt erstmals die Möglichkeit, sich ein umfassendes Bild von den deutschsprachigen Literaturnobelpreisträgern zu machen und auch etwas über die Geschichte der Auszeichnung zu erfahren. Eine umfangreiche informative Begleitpublikation zu der Ausstellung kann zum Preis von 7,50 € vor Ort erworben werden.

Bei Fragen wenden Sie sich bitte an:
Prof. Dr. Peter Heßelmann
P.Hesselmann@t-online.de

Weitere Informationen:

Fortunatus, Melusine, Genofeva

Internationale Erzählstoffe
in der deutschen und ungarischen Literatur der Frühen Neuzeit

Tagung der Institute für Komparatistik, Germanistik und Ungarische Literaturwissenschaft der Károly-Eszterházy-Hochschule Eger und des Germanistischen Instituts der RWTH Aachen in Verbindung mit der Grimmelshausen-Gesellschaft e.V. und dem Institut für Literaturwissenschaft der Ungarischen Akademie der Wissenschaften

8.–12. Oktober 2008 in Eger (Ungarn)

Wie fruchtbar die Erforschung der deutsch-ungarischen Literaturbeziehungen auch für Grimmelshausen und die Rezeption seiner Werke sein kann, hat bereits 2003 die Budapester Tagung zum Ungarischen Simplicissimus des Daniel Speer gezeigt, deren Beiträge als Beiheft 1 zu Simpliciana erschienen sind (Das Ungarnbild in der deutschen Literatur der Frühen Neuzeit. „Der Ungarische oder Dacianische Simplicissimus“ im Kontext barocker Reiseerzählungen und Simpliciaden. Hrsg. von Dieter Breuer und Gábor Tüskés. Bern, Berlin, Brüssel, Frankfurt a. M., New York, Oxford, Wien: Peter Lang 2005, 409 S.). Die neuerliche deutsch-ungarische Tagung, die unter der Leitung von Gábor Tüskés und Dieter Breuer vom 8. bis zum 12. Oktober 2008 an der Károly-Eszterházy-Hochschule im ungarischen Eger (Agri, im Nordosten des Landes) stattfand, war breiter angelegt und hatte die stoffgeschichtlichen Traditionen der frühneuzeitlichen Literaturen zum Thema: das Weiterwirken der mittelalterlichen Überlieferung antiker und autochthoner europäischer Erzählstoffe in den beiden Nationalliteraturen. Wie solche Stoffgeschichten in den Gattungen des unterhaltenden und Gebrauchsschrifttums tradiert und zugleich einer neuen Zeit angepaßt worden sind, sollte anhand von exemplarischen Adaptionen und Neubearbeitungen in den Gattungen Predigt- und Exempelsammlung, barocker Schauplatzliteratur, Kalender, Schwank- und Rätselbuch, Dialog, Heroide, Schauspiel, Legendenroman und nicht zuletzt an den „Historien“ des 15. und 16. Jahrhunderts, den sog. Volksbüchern, aufgezeigt werden. Zu erwarten war, dass dabei auch Licht auf Grimmelshausens Umgang mit solchen Stoffen fallen würde, obzwar dies nur ein Nebenaspekt der Tagung sein konnte.

Die Bedeutung von Hans Sachs für die frühneuzeitlichen stoffgeschichtlichen Prozesse unterstrichen die Vorträge von Wilhelm Kühlmann über Diogenes-Bearbeitungen, István Bitskey über das Motiv Caritas Romana und Péter Lökös über Volksschauspiele in Oberungarn. Wie breit eine spätmittelalterliche Exempelsammlung für die Hand des Predigers in stofflicher Hinsicht angelegt sein konnte, zeigten Flóra Rajhona und Nóra Sápi anhand von biblischen, mythologischen und historischen Exempeln, auch juristischen Casus, aus dem Pomerium des Pelbartus von Temesvar sowie Ildikó Bárczi und Észter Laczkó anhand der Indices Rerum in ungarischen Predigtsammlungen, während der Vortrag von Judit Ecsedy die Ausgestaltung von juristischen Casus zu emblematisch angelegten „Mordgeschichten“ bei Camus und Harsdörffer thematisierte. Dass die ungarischen Neubearbeitungen alter Stoffe gegenüber deutschen Bearbeitungen oftmals zeitversetzt vorgenommen wurden, verdeutlichte nicht nur der von Vilmos Voigt gewählte exemplarische Fall des ungarischen Märchenbuchs von 1629, das er als Bearbeitung des Straßburger Rätselbuchs von 1505 identifizieren konnte. Zu ähnlichen Ergebnissen kam Rita Nagy bei deutschsprachigen Kalendern des 18. Jahrhunderts aus dem Königreich Ungarn.

Auf welch sonderbaren Umwegen über Predigtexempel Eulenspiegel-Schwänke nach Ungarn gelangten, belegte der Vortrag von Eszter Kiséry, während Peter Heßelmann darlegte, dass Bartholomäus Krüger in seiner Schwanksammlung Hans Clawerts Werckliche Historien (1587) unter anderem ältere Schwankstoffe aktualisierend auf ungarische Schauplätze verlegt hat. An einem einzelnen Schwankmotiv, dem als archetypisch eingeschätzten Motivs des Schelms auf dem Weg zum Galgen, demonstrierte Thomas Althaus das innovatorische Potential dieses Motivs: die Darstellung der trotzigen Selbstbehauptung des bedrängten Subjekts, vorgetragen im arguten Stil, die im Kleinen die Erzählhaltung des picarischen Romans vorbereitet habe.

Sehr viel komplexer als der stoffliche Transfer in den „einfachen Formen“ erwiesen sich die „Historien“ des 15. und 16. Jahrhunderts in stofflicher Sicht. So verfolgte Margit Sárdi die Sagenbildung um die bewaffnete Pilgerreise Heinrichs des Löwen ins Heilige Land über das mittelhochdeutsche Epos Herzog Ernst bis zum tschechischen Volksbuch und dessen Übertragung im 17. Jahrhundert ins Ungarische, die wiederum zur Quelle ungarischer Volksmärchen des 19. und 20. Jahrhunderts geworden ist. Im Falle der Melusinen-Historie legte Rachel Raumann dar, dass der Transfer in fremde kulturelle Zusammenhänge neue Erzählmöglichkeiten eröffnet hat: von der Vereinnahmung der französischen Lokalsage für die Genealogie des Hauses Parthenay bei Couldrette zum bewußten Spiel mit historischen und fiktionalen Elementen in der deutschen Bearbeitung des Thüring von Ringoltingen, – ein Spiel, das konstitutiv für die Poetologie frühneuzeitlichen Erzählens geworden sei. Béatrice Dumiche lenkte die Aufmerksamkeit auf die Konsequenzen dieses Ansatzes für die Interpretation des Melusinen-Volksbuchs seit Goethes positiver Einschätzung der Volksbücher: die Penetrierung des zeitbedingten Stoffes auf eine zeitlose Symbolik menschlicher Seelenspiegelung hin, die sogar eine christologische Deutung der unheimlich-phantastischen Erzählelemente zuzulassen scheint. Hinsichtlich der Historie von der schönen Magelona konnten Éva Vámos und Dieter Breuer zeigen, dass dieser spätmittelalterliche Erzählstoff in der Romanfassung von Veit Warbeck (1535) einerseits für breite Leserschichten ohne Unterbrechung auch im 17. und 18. Jahrhundert fortgedruckt wurde, so 1676 auch im ungarischen Löcze / Leutschau, andererseits aber auch, so bei Grimmelshausen, eine der Quellen zu einem neuen Legendenroman (Dietwald und Amelinde) werden konnte. Rosmarie Zeller ergänzte diesen Befund in ihrem Vortrag über das Buch der Liebe (1589) um weitere, von Grimmelshausen (und Johann Beer) rezipierte „Historien“.

Wie stark der frühneuzeitliche deutsche Originalroman Fortunatus (1509) seinen spätmittelalterlichen Quellen (The Travels of Sir John Mandeville; Astrologie und Magie) verhaftet ist und diese Quellen zugleich aufklärerisch neutralisiert, legte Klaus Haberkamm in seinem Vortrag über die Stichworte „Einfliessung der Planeten“ und „Kunst der Nigromantia“ dar. Die ungarische Rezeption des Fortunatus erfolgte, wie Gábor Tüskés ausführte, unter den speziellen Vorgaben der ungarischen Literatur der Frühen Neuzeit erstmals 1580 als Versdichtung, in Anlehnung an die Gattung des vielstrophigen Historienliedes, und erst Anfang des 18. Jahrhunderts als Prosaroman. Die Faust-Sage und die Historia von D. Johann Fausten (1587) wurden in Ungarn schon früh im Zusammenhang mit anderen Teufelsbündnergeschichten rezipiert, so Judit P. Vásárhelyi, ja es wurden nicht nur der Theologe Albert Molnár im 17. Jahrhundert, sondern auch noch der calvinistische Naturforscher István Hatvani im 18. Jahrhundert zum Objekt ungarischer Faustsagen. Die Neubearbeitungen der erst Anfang des 17. Jahrhunderts im Druck verbreiteten „Historie“ der frommen Pfalzgräfin Genofeva wurden in drei Beiträgen vorgestellt. Ruprecht Wimmer untersuchte den aus einem Predigtzyklus hervorgegangenen Genofeva-Roman des Jesuiten Michael Staudacher (1648). Während Erika Kegyes darzulegen versuchte, wie die Bearbeitungen dieses Stoffes durch ungarische Autoren seit Johannes Nádasi (auch er ein Jesuit) als Material für die Gender-Forschung fruchtbar gemacht werden könnte, zeigte Jost Eickmeyer an den Epistolae Heroum et Heroidum libri quatuor (1636) des Jesuiten Balduinus Cabillavius, dass dieser Stoff sogar in der Form der Heroiden nach klassischem Vorbild Ovids eine anspielungsreiche Bearbeitung gefunden hat. Die gelehrte Gattung des heroischen Briefes, hier der Briefwechsel zwischen Paris und Helena, hatte im übrigen bereits ungarischen Autoren des 16. Jahrhunderts zur Verlebendigung ihrer Troja-Erzählungen gedient, wie Anikó Polgár ausführte.

In seiner Einführung zur Tagung hatte Gábor Tüskés für die Wiederaufnahme der lange vernachlässigten stoffgeschichtlichen Forschung plädiert, und die Tagung selbst erwies überzeugend, wie fruchtbar dieser Ansatz für das Verständnis der frühneuzeitlichen Literaturen ist, wie sehr bei aller Methodenvielfalt die simple Erkenntnis zu beachten ist, dass Literatur sich auf Literatur bezieht, und wie hilfreich dabei der Vergleich zwischen den Nationalliteraturen sein kann.

Gábor Tüskés als Gastgeber hatte für ideale Rahmenbedingungen der gemeinsamen Arbeit gesorgt. Die Teilnehmer wurden im altehrwürdigen Universitätsgebäude aus dem späten 18. Jahrhundert festlich empfangen und durften dort auch tagen. Eine Ausstellungseröffnung im prachtvollen Bibliothekssaal in Gegenwart des Erzbischofs von Eger, wo unter dem Titel Diskurse der Aufklärung Schätze aus dem wertvollen Altbestand der Bibliothek gezeigt wurden, ein öffentliches Abendkonzert in der ebenso prächtigen Universitätskapelle, ein Theaterabend mit einem Fortunatus-Stück, eine Exkursion zu den romanischen Kirchenbauten in der näheren Umgebung Egers sowie der Abschiedsschmaus in einem der berühmten Weinkeller Egers, aber auch die gemeinsamen Mahlzeiten gaben Gelegenheit zu Austausch und Entspannung nach den Anstrengungen der Vorträge: insgesamt unvergeßliche goldene Oktobertage unter dem ewig blauen Himmel über der freundlichen Barockstadt Eger.

Die Tagung wurde gefördert durch die Fritz-Thyssen-Stiftung Köln, die Károly-Eszterházy-Hochschule Eger, das Germanistische Institut der RWTH Aachen, die Grimmelshausen-Gesellschaft, die Ungarische Akademie der Wissenschaften Budapest und die Stadt Eger.

Dieter Breuer (Aachen)